Entwurf zu Änderungen des Mindestlohngesetzes nicht optimal

Die geplante einmalige Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro brutto pro Stunde zum 1.10.2022 ist sicherlich eine Verbesserung für die davon betroffenen Beschäftigten. Ärgerlich ist allerdings die Begründung im Referentenentwurf vom 21.1.2022 und Relevantes, was nicht verändert wird. Hier gibt es trotz der Erhöhung Optimierungsbedarf.

Vorab ist festzuhalten, dass Olaf Scholz als Finanzminister in einem Beitrag für die Bild-Zeitung im Jahr 2018 einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde für angemessen gefunden hat. Die Zahl 12 Euro ist wohl eher eine runde oder symbolische Zahl, denn die in 2018 angemessen 12 Euro müssten infolge der Preisentwicklung höher liegen, um auch 2022 angemessen zu sein. Wenn man eine 2%ige Preissteigerung annimmt, dann müsste der Mindestlohn in 2022 bei 12,73 Euro liegen. Dann würde auch die Pfändungsfreigrenze zumindest bei einem Single-Haushalt überschritten werden. Um eine Rente über Grundsicherungsniveau zu erreichen, wäre ein deutlich höherer Mindestlohn erforderlich. Armut wird auch mit 12 Euro Mindestlohn nicht überwunden.

Ärgerlich 1: Erneut wird in der Begründung des Referentenentwurfs zum Mindestlohn wie schon im Koalitionsvertrag der Mythos wiederholt, dass es Anreizen für die Erwerbsaufnahme aufseiten der Erwerbspersonen bedarf (siehe hier).

„Gleichzeitig wird ein Anreiz zur Aufnahme von Erwerbstätigkeit gesetzt sowie die Stabilität sozialer Sicherungssysteme gestärkt. …

Gleichzeitig bewirkt die Erhöhung, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Regel finanziell bessergestellt werden als vergleichbare Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Auf diese Weise wird ein Anreiz zur Aufnahme von Erwerbstätigkeit gesetzt, ohne die sozialrechtliche Pflicht des Staates zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in Frage zu stellen.“

Referentenentwurf vom 21.1.2022

Die generelle Behauptung, dass es Anreize der Arbeitslosen zur Erwerbstätigkeit braucht, blendet die Tatsachen aus, dass es für alle Arbeitslosen, gesetzt den Fall, alle würden arbeiten wollen, gar nicht genügend offene Stellen gibt (September 2021: Arbeitslose: 1,9 Mio., gemeldete Stellen bei der BA: 0,6 Mio.; Lücke: 1,3 Mio.), und dass Diskriminierung aufgrund von ethnischer oder sozialer Herkunft oder Alter (s. hier und hier) auf dem Arbeitsmarkt gleichfalls eine hemmende Rolle bei der Aufnahme von Beschäftigung spielt.

Ärgerlich 2: Mit dem Mindestlohngesetz wurde in der deutschen Arbeitsmarktpolitik vermutlich erstmals das Merkmal „langzeitarbeitslos“ zu einem Tatbestandsmerkmal mit Rechtsfolgenwirkung erklärt (siehe hier). Bisher hatte das Merkmal „langzeitarbeitslos“ ausschließlich statistische Bedeutung.

„Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht.“

§ 22 (4) Satz 1 MiLoG

Liegt Langzeitarbeitslosigkeit vor, erhält ein Beschäftigter die ersten sechs Monate eines Beschäftigungsverhältnisses keinen Mindestlohn. Das bisherige statistische Merkmal wird somit zu einem Merkmal mit Rechtsfolge. Und genau jenen, denen fehlende Anreize unterstellt werden, wird anfänglich der Mindestlohn verwehrt.

Weiter steht im Gesetz, dass diese Regelung evaluiert werden soll.

Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften zum 1. Juni 2016 darüber zu berichten, inwieweit die Regelung nach Satz 1 die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gefördert hat, und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob diese Regelung fortbestehen soll.“

§ 22 (4) Satz 2 MiLoG

Der vom Bund in Auftrag gegebene Forschungsbericht hat die Ausnahmeregelung gar nicht evaluiert (BMAS, Forschungsbericht 561: Der gesetzliche Mindestlohn und Arbeitnehmerschutz. Dezember 2020). Das IAB hat festgestellt (Mindestlohn in Deutschland – Effekte der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose, IAB-Forum vom 5.7.2017):

Die [die Ausnahmereglung] ist neben ihrem eingeschränkten Wirkungsbereich weder für die Betriebe, noch für die Langzeitarbeitslosen selbst, noch für die Jobcenter attraktiv. Daher wirkt sich das Instrument auch nicht auf die Löhne und die Beschäftigung von ehemals Langzeitarbeitslosen aus. In beiden Fällen sind bislang keine Effekte der Ausnahmeregelung nachzuweisen.“

Im Referentenentwurf ist keine Aussage zur Ausnahmeregelung zu finden.

Fazit für das Gesetzgebungsverfahren

Im Gesetzgebungsverfahren sollten deshalb noch geändert werden:

  • Der Mindestlohn sollte höher als 12 Euro angesetzt werden. Hinweise zur Orientierung bietet der Evaluationsbericht des BMAS. Der Bund ist mit der Setzung von indexierten Mindestlöhnen gefordert.
  • § 22 (4) MiLoG, wonach Langzeitarbeitslose sechs Monate lang keinen Mindestlohn erhalten, sollte ersatzlos gestrichen werden.
  • Die Bezugnahme der Begründung für die Erhöhung des Mindestlohns auf die Anreize für Arbeitslose sollte ebenfalls ersatzlos gestrichen werden. Es reicht der Grund, dass der Markt (s. hier) oder die Tarifautonomie versagt hat.
  • Nach Aussage des Evaluationsberichtes ist die Stärkung der Tarifautonomie und der Tarifbindung effektiver. Dies und den Abbau von Diskriminierungen von Arbeitssuchenden auf dem Arbeitsmarkt sollte die Regierung beschleunigen.
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