Erklärung gesucht: Zusammenhang von Aktivierungspolitik und Erwerbsarmut

Im WSI-Report 36 vom Juli 2017 wird im Detail dem Zusammenhang von  Aktivierungspolitik und Erwerbsarmut (working  poor) in den europäischen Staaten nachgegangen. Die Autorinnen und Autoren kommen zu mehreren interessanten Ergebnissen:

  • Strenge  Anspruchsvoraussetzungen  für  den  Leistungsbezug (Workfare-
    Ansatz) und  niedrige  Lohnersatz-  und  Sozialleistungen  erhöhen das  Risiko,  arm  trotz  Arbeit  zu  sein.
  • Investive  aktive  Arbeitsmarktpolitik (z. B. Maßnahmen
    zur Aus- und Weiterbildung) senkt  das  Erwerbsarmutsrisiko.
  • Auskömmliche Lohnersatz-  und  Sozialleistungen können das Risiko der Erwerbsarmut
    senken.

Daraus leitet die Auorengruppe strategische Schlussfolgerungen ab:

  • Möglichkeiten der  beruflichen  Qualifikation  und  Weiterbildung auszubauen  und  auch  für  atypisch  und/oder  im Niedriglohnbereich Beschäftigte zugänglich ma-
    chen.
  • Arbeitsvermittlung verstärkt auf  eine  nachhaltige  und  qualifikationsgerechte
    Vermittlung von Erwerbslosen ausrichten.
  • Zumutbarkeitsregeln im SGB II entschärfen.
  • Sicherstellen, dass  Lohnersatzleistungen  und  SGB-II-Leistungen  Armut  wirksam
    verhindern.

Der Report liefert noch ein anderes – statistisch signifikantes – Ergebnis, das möglicherweise weiterreichende Folgen hat:

„Die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen hingegen erhöht das Erwerbsarmutsrisiko.“ (WSI-Report 36/2017, S. 12)

Es ist bisher in der deutschen Arbeitsmarktpolitik unhinterfragt, dass die Teilnahme in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen (von Arbeitsgelegenheiten einmal abgesehen; Hammer 2016) „gut“ ist und mehr davon besser. Beschäftigungsträger leben von solchen Maßnahmen. Aber auch die Bundesregierung legt immer wieder Programme auf, bei denen es für die Arbeitsverwaltung gilt, die politisch angekündigten Zahlen praktisch zu erreichen (z. B. 100.000 Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen). Wenn nun steigende Teilnehmerzahlen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen das Erwerbsarmutsrisiko erhöht, dann sollte zunächst die Ursachen analysiert, die vorhandene Praxis überpürft und Lösungswege zur Senkung des Erwerbsarmutsrisiko durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen entwickelt werden.

Die Autorengemeinschaft hat dazu leider keine Erkenntnisse. Sie schreibt:

„Für diesen Effekt haben wir keine Erklärung.“ (WSI-Report 36/2017, S. 12, Fußnote 7 )

Gesucht ist also die Erklärung für den negativen Zusammenhang von der Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und dem Erwerbsarmutsrisiko.


Dorothee Spannagel, Daniel Seikel, Karin Schulze Buschoff, Helge Baumann: Aktivierungspolitik und Erwerbsarmut. WSI-Report 36/2017

Hammer, Andreas 2016: Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse. In: Forum Arbeit, Nr. 4/2016, S. 16-19

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