„Egoistische“ Motive ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer/-innen

Im Zusammenhang mit der verstärkten Zuwanderung nach Deutschland seit 2015 haben sich sehr viele Menschen vermehrt ehrenamtlich als Flüchtlingshelfer/-in engagiert und dieses Engagement hält an. Dabei stehen verschiedene persönliche Motive im Vordergrund – eher „altruistische“ und eher „egoistische“ Motive.

Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, in wieweit ehrenamtliche Flüchtlingshelfer/-innen bei der Unterstützung von Flüchtlingen „egoistische“ Motive verfolgen.

Basis ist die Studie „Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer in Deutschland“, deren Daten für diese Fragestellung ausgewertet wurde.

Die Grundgesamtheit sind 760 Interviews mit ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer/-innen in Deutschland, durchgeführt mittels einer computergestützten persönlichen Befragung vom 14. Juni bis 12. Juli 2016 als Quotenstichprobe (quotiert nach Alter, Geschlecht, Bildung und Region).

Von den Antworten der Grundgesamtheit wurden hier jene ausgeschlossen, die „weiß nicht“ angegeben haben oder bei denen keine Angabe vorlag. Die Antworten (in der Regel vierstufige Skalen) wurden anschließend dichotomisiert.

2. „Egoistische Motive“ und ihr Umfang

Laut Studienbericht ist die

„Zahl der überwiegend aus egoistischem Antrieb Handelnden unter den Flüchtlingshelfern (bzw. die Zahl derer, die das offen zugeben) … vernachlässigbar: Jeweils etwa 4 Prozent der Flüchtlingshelfer geben an, die Anerkennung für diese Tätigkeit bzw. der erwartete Nutzen für ihre weitere berufliche Entwicklung sei für das Engagement ausschlaggebend.“ (S. 13)

Die Prozentangaben beziehen sich dabei lediglich auf die Ausprägung „trifft voll und ganz zu“ (bei einer vierstufigen Antwortskala). Da Befragte wegen der sozialen Erwünschtheit in der Regel nicht immer egoistische Motive preisgeben („sofern sie das offen zugeben“), ist zu rechtfertigen, die Befragten, die „trifft eher zu“ angegeben haben, hinzuzunehmen. Und selbst dann wird der tatsächliche Wert wahrscheinlich höher sein.

Von 757 befragten ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer/-innen gaben 22,7% an Flüchtlinge zu unterstützen, „weil ich dafür eine Anerkennung bekomme [bekommen habe].“ Dieses Motiv wird hier ebenfalls als „egoistisch“ bewertet. Hierbei sind die Antworten dichotomisiert. Addiert man außerdem jene 12% Befragten (dichotomisiert), die angegeben haben, dass sie sich als Flüchtlingshelfer/-in betätigen, weil dies für ihre weitere berufliche Entwicklung nützlich ist, kommt man zusammen auf 29,6%% mit einem „egoistischen“ Motiv.

Rund 9% sehen sich durch mangelnde Anerkennung und Wertschätzung in ihrem Ehrenamt belastet. Es ist davon auszugehen, dass im Umkehrschluss bei diesen Flüchtlingshelfer/-innen die Anerkennung eine Rolle spielt.

Unter diesen 9% sind auch Befragte dabei, die nicht das Anerkennungs-Motiv genannt haben. Fasst man diese Teilgruppen zusammen – Ehrenamtliche mit Nennung Anerkennungs- oder Nützlichkeits-Motiv und Ehrenamtliche, die sich durch mangelnde Anerkennung belastet fühlen – kommt man auf einen Anteil von 34,6% bei denen ein eher „egoistisches“ Motiv eine Rolle spielt. Das ist ein beachtlicher Anteil. Dennoch bleibt festzuhalten, dass bei zwei Drittel und damit einer deutlichen Mehrheit der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer/-innen altruistische Motive im Vordergrund stehen.

3. Merkmale ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer/ -innen mit „egoistischen“ Merkmalen

3.1. Aktivitäten

Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer/-innen wurden im Rahmen der Studie nach 22 verschiedenen Aktivitäten gefragt mit denen sie Flüchtlinge unterstützen (s. Anhang). Dabei unterscheiden sich die Ehrenamtlichen, die ein „egoistisches“ Motiv genannt haben, nur bei einer Unterstützungsform statistisch signifikant: So üben „Altruisten“ zu 73% diese Tätigkeit „Versorgung von Flüchtlingen mit Lebensmittel, Kleidung und Spielzeug“ aus, „Egoisten“ zu 66%. Der Zusammenhang ist allerdings sehr gering (Phi = 0.07). Das ist die häufigste Tätigkeit beider Gruppen. Die Zweithäufigste ist die Unterstützung bei Behördengängen (56% der „Altruisten“, 60% der „Egoisten“).

3.2. Unterstützungsweisen

Die Ehrenamtlichen wurden gefragt, wie sie sich in den letzten 12 Monaten für Flüchtlinge eingesetzt haben (s. Anhang).

Die häufigste Nennung war „Flüchtlinge persönlich unterstützt, z.B. Begleitung zu Behörden, Deutschkurse, dolmetschen etc“ mit 82% (jeweils in den Gruppen „Altruisten“ und „Egoisten“). Am zweithäufigsten wurden Flüchtlinge mit eigener Sachspende, z.B. Kleidung, unterstützt („Altruisten“ zu 76% und „Egoisten“ zu 64%, Phi = .12, signifikant). Das ist auch die Engagement-Weise mit der größten Differenz (12%-Punkte).

3.3. Mangel bei der Bewältigung der Herausforderungen der Flüchtlingsthematik

Bei der Studien-Frage, woran es nach Ansicht der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer/-innen bei der Bewältigung der Herausforderungen der Flüchtlingsthematik mangelt, bestehen die größten Unterschiede zwischen „Altruisten“ und „Egoisten“ bei der Antwortmöglichkeit „(sehr) großer Mangel an der Qualifikation des Personals bei zuständigen Ämtern und Behörden“. („Altruisten“: 85,16 (250 von 411); „Egoisten“: 67,23% (158 von 235). Bei den anderen genannten Herausforderungen (s. Anhang) sind die Unterschiede gering.

3.4. Bewertung der Lebensumstände der Flüchtlinge

Bei der Bewertung der Lebensumstände der Flüchtlinge unterscheiden sich beide Motiv-Gruppen bei der Einschätzung des „(sehr) großen Mangels an rechtlicher Beratung“ („Altruisten“: 71,36% (295 von 412), „Egoisten“ 72,88). Bei den übrigen Bewertungen (s. Anhang) sind die Unterschiede gering oder nicht signifikant. Zur Frage nach Sorgen und Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt von Flüchtlingen berichtet Hammer 2017a.

Beim politischen Interesse und der Einschätzung der künftigen Aufnahmefähigkeit Deutschlands von Flüchtlingen gibt es keine großen Unterschiede.

3.5. Soziodemographische Merkmale

Der Altersdurchschnitt der „Egoisten“ liegt rund 5 Jahre unter dem der „Altruisten“ (55 Jahre). Der Unterschied ist signifikant.

Die Unterschiede bei anderen soziodemographischen Merkmalen (Geschlecht, höchster Bildungsabschluss, Migrationshintergrund, Religionszugehörigkeit, Erwerbsstatus, Einkommen) sind nicht sehr groß und bis auf das Alter nicht signifikant. Es ist anzunehmen, dass diese auch keine erklärende Rolle bei den „egoistischen“ oder „altruistischen“ Motiven spielen. So zeigen Studien zum Engagement von Freiwilligen sowohl Geschlechtsunterschiede wie auch keine Unterscheide zwischen den Geschlechtern (Müller u.a. 2017: S. 415).

Ausschlaggebender könnten Persönlichkeitseigenschaften sein, die bereits in der Kindheit entwickelt wurden. Diese Hypothese kann anhand der Daten allerdings nicht geprüft werden.

4. Fazit

Die Untersuchung zeigt, dass bei einem Drittel (34,6%) der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer/-innen ein eher „egoistisches“ Motiv bei ihrem Engagement eine Rolle spielt. Trotz dieses Umfangs bleibt festzuhalten, dass bei einer deutlichen Mehrheit von zwei Dritteln „altruistische“ Motive im Vordergrund stehen. „Egoisten“ sind gleichfalls engagiert und hilfreich, wenn auch aus anderen Motiven.

Anhand der Daten lässt sich zeigen, dass die Unterschiede zwischen Helfer/-innen mit egoistischen und altruistischen Motiven im statistischen Sinne nicht sehr groß sind.

So unterscheiden sich die Ehrenamtlichen, die ein „egoistisches“ Motiv genannt haben, hinsichtlich ihrer Aktivitäten nur bei einer statistisch signifikant von den „altruistischen“ Flüchtlingshelfer/-innen: Die „Versorgung von Flüchtlingen mit Lebensmittel, Kleidung und Spielzeug“ führen „Altruisten“ zu 73% und „Egoisten“ zu 66% aus. Woher der Unterschied kommt ist unklar, zumal der Zusammenhang sehr gering ist (Phi = 0.07). Bei beiden Gruppen handelt es sich um die häufigste Tätigkeit. Es ist anzunehmen, dass diese Aktivität seit der Erhebung an Bedeutung verloren hat, da die Zahl der Zugewanderten seitdem gesunken ist und staatliche Stellen ihre Strukturen ausgebaut haben.

Die häufigste Nennung der Gruppen „Altruisten“ und „Egoisten“ bei der Unterstützung in den letzten 12 Monaten war mit jeweils 82% „Flüchtlinge persönlich unterstützt, z.B. Begleitung zu Behörden, Deutschkurse, dolmetschen etc“. Hier gibt es keine Unterschiede. Zweithäufigst genannte Aktivität war die Unterstützung von Flüchtlingen mit eigener Sachspende, z. B. Kleidung, unterstützt („Altruisten“ zu 76% und „Egoisten“ zu 64%, Phi = .12, signifikant). Das ist auch die Engagement-Weise mit der größten Differenz (12%-Punkte). „Egoisten“ sind hier weniger engagiert, ähnlich bei der „Versorgung von Flüchtlingen mit Lebensmittel, Kleidung und Spielzeug“.

Bei der Frage an die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer/-innen, woran es bei der Bewältigung der Herausforderungen der Flüchtlingsthematik mangelt, bestehen die größten Unterschiede zwischen „Altruisten“ und „Egoisten“ bei der Antwortmöglichkeit „(sehr) großer Mangel an der Qualifikation des Personals bei zuständigen Ämtern und Behörden“. („Altruisten“: 85,16 (250 von 411); „Egoisten“: 67,23% (158 von 235). Das positivere Bild der „Egoisten“ vom Verwaltungspersonal könnte von einer größeren Kontakthäufigkeit herrühren, denn die zweithäufigste Aktivität ist die Unterstützung bei Behördengängen und hier sind die „Egoisten“ aktiver (56% der „Altruisten“ und 60% der „Egoisten“ üben diese Tätigkeit aus). Eine andere Erklärung wäre, dass die Anerkennung von anderen, z. B. Auch dem Verwaltungspersonal, weniger wert wird, wenn die Flüchtlingshelfer/-innen ihnen eine mangelnde Qualifikation zuschreiben.

Bei der Bewertung der Lebensumstände der Flüchtlinge unterscheiden sich beide Motiv-Gruppen bei der Einschätzung des „(sehr) großen Mangels an rechtlicher Beratung“ („Altruisten“: 71,36% (295 von 412), „Egoisten“ 72,88); dieser ist aber sehr gering.

Bei den soziodemographischen Merkmalen ist im wesentlichen das Alter auffällig. Der Altersdurchschnitt der „Egoisten“ liegt rund 5 Jahre unter dem der „Altruisten“ (55 Jahre). Der Unterschied ist signifikant.

Für die Flüchtlinge sind weniger die Motive der Flüchtlingshelfer/-innen relevant als die tatsächliche gewährte Unterstützung. Allerdings könnten sich „egoistische“ Flüchtlingshelfer/-innen eher von ihrem Engagement zurückziehen, wenn sie zu wenig Dankbarkeit oder Anerkennung bekommen oder der berufliche Nutzen nicht so hoch ist wie vermutet. Schließlich könnten eher „egoistische“ Flüchtlingshelfer/-innen mit einem geringeren Erfolg für die Flüchtlinge zufrieden sein, da ihre Motive auch so befriedigt werden, solange sie wegen ihres Engagements an sich Vorteile haben. Um die Qualität oder den Erfolg der Flüchtlingshilfe hoch zu halten, könnte deshalb bei Qualifizierungen für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer auf diese Problematik eingegangen werden.

5. Literatur

Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer in Deutschland – August 2016. Eine Studie von TNS Infratest Politikforschung im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA). Berlin

Hammer 2017a: Sorgen und Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt von Flüchtlingen. http://w9eg9znx6.homepage.t-online.de/hammer-eu/wordpress/?p=317

Hammer 2017b: Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen

Hammer 2017c: Arbeitsgelegenheiten nach § 5 Asylbewerberleistungsgesetz. Arbeitsgelegenheiten nach § 5 Asylbewerberleistungsgesetz

Moschner, Barbara 2002: Altruismus und Egoismus. Was motiviert zum Ehrenamt. Bi2000plus Diskussionspapier Nr. 20

Müller, Doreen / Hameister, Nicole / Laux, Katharia 2017: Anstoß und Motive für das Freiwillige Engagement. In: Simonson, J. (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland, S. 413-435

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