EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne korrekt umsetzen

Die Krise der Lebenshaltungskosten (insbesondere Energie und Lebensmittel) ist ein wichtiger Aspekt, mit der sich ein wachsender Teil von Haushalten mit niedrigem oder mittlerem Einkommen (vor allem Erwerbsaufstockende im SGB II) auseinandersetzen muss. Die Inflation ist gestiegen, die Reallöhne sinken und die Sozialleistungen (einschließlich des Zugangs wie z. B. zu Kinderbetreuung) werden nicht entsprechend angepasst. Positiv ist in diesem Zusammenhang die Richtlinie der EU über angemessene Mindestlöhne. Sie könnte den Lebensstandard von Niedriglohnbeschäftigten erhöhen (s. hier).

Die Richtlinie (EU) 2022/2041 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über angemessene Mindestlöhne (Amtsblatt L 275) legt fest, dass die Mindestlöhne einen angemessenen Lebensstandard für Vollzeitbeschäftigte gewährleisten müssen. Das soll transparent werden.

„Die Mitgliedstaaten legen bei ihrer Bewertung der Angemessenheit der gesetzlichen Mindestlöhne Referenzwerte zugrunde. Zu diesem Zweck können sie auf internationaler Ebene übliche Referenzwerte wie 60 % des Bruttomedianlohns und 50 % des Bruttodurchschnittslohns und/oder Referenzwerte, die auf nationaler Ebene verwendet werden, verwenden.“

(Art. 5)

Der deutsche Bruttodurchschnittslohn lag 2022 bei 3.319 Euro monatlich und bei 30,68 Euro je Arbeitnehmerstunde (Destatis, Fachserie 18). Würde man die in der Richtlinie genannte Referenzschwelle ansetzen, dann würde der Mindestlohn im Monat 1.659,50 Euro betragen und die Stunde 15,34 Euro. Der Betrag von 15,34 Euro liegt deutlich höher als der zurzeit gültige gesetzliche Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde und wäre eine Verbesserung des Lebensstandards der Beschäftigten mit niedrigem oder mittlerem Einkommen.

Die Mindestlohnkommission hat über eine Anpassung der Höhe des Mindestlohns bis zum 30. Juni 2023 mit Wirkung zum 1. Januar 2024 zu beschließen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Mindestlohnkommission sich auf einen Betrag von 15,34 Euro oder mehr einigt.

Bei dieser Festlegung und Aktualisierung sind nach Art. 5 der Richtlinie Kriterien zugrundezulegen, „die zu ihrer Angemessenheit beitragen, mit dem Ziel, einen angemessenen Lebensstandard zu erreichen, die Armut trotz Erwerbstätigkeit zu verringern, den sozialen Zusammenhalt und die soziale Aufwärtskonvergenz zu fördern und das geschlechterspezifische Lohngefälle zu verringern. … Die Mitgliedstaaten können unter Berücksichtigung ihrer nationalen sozioökonomischen Bedingungen über das relative Gewicht dieser Kriterien, einschließlich der in Absatz 2 genannten Aspekte, entscheiden.“ Zu diesen Aspekten gehören (nicht abschließend):

  • die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten;
  • das allgemeine Niveau der Löhne und ihre Verteilung;
  • die Wachstumsrate der Löhne;
  • langfristige nationale Produktivitätsniveaus und -entwicklungen.

Es ist aufgrund der bisherigen Mindestlohnentwicklung (s. hier) und der damit verbundenen medialen und politischen Debatte anzunehmen, dass solche Spielräume (zumal die Referenzwerte eine Kann-Bestimmung darstellen) genutzt werden, um den Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns zu begrenzen oder die eingeräumte Ratifizierungsfrist bis zum 15. November 2024 auszunutzen.

Unabhängig davon, nützt der höchste Mindestlohn nichts, wenn er von der Bundesregierung nicht durchgesetzt wird (s. auch).

Deshalb ist es wichtig, auf eine korrekte Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht zu beharren und ein „Schleifen“ der Richtlinie – wie z. B. bei der EU-Entsenderichtlinie geschehen (s. zum Beispiel) – zu verhindern.

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