Bürgergeldgesetz: erste Einschätzung

Nachdem seit dem Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung hohe Erwartungen an das kommende Bürgergeld geweckt wurden, zeigt nun der Referentenentwurf vom 21.7.2022 einige zielführende (z. B. abschlussbezogene Weiterbildung im SGB II ohne Verkürzungspflicht) und verwaltungsvereinfachende Änderungen (z. B. Einführung einer Bagatellgrenze bei Rückforderung von Leistungen) auf. Wesentliches ist lediglich Nachvollzug von fachlich bekannten Positionen, höchstrichterlichen Urteilen (z. B. zu Sanktionen; angeblich wird beim Bund künftig nicht mehr von „Sanktion“ gesprochen, sondern von „Leistungsminderung“, weil Sanktionen jetzt auch gegen die Russische Föderation gelten und das negative Assoziationen weckt) oder Regelungen, die während der Pandemie bereits gegolten haben (Einkommen-, Vermögens- und Wohnungsprüfung, s. hier).

Weniger auffällig sind fehlende Inhalte. Beim Kapitel zur Eingliederung in Arbeit fehlen bis jetzt nötige Änderungen bei den Arbeitsgelegenheiten (§ 16d). Eine Ausweitung der Teilhabe am Arbeitsmarkt ist nicht vorgesehen („Langfristig belaufen sich bei geschätzten 40 000 Teilnehmenden im Bestand…“, S. 59). Und es fehlt die Möglichkeit Innovationen oder Erprobungen durchzuführen, da die Freie Förderung (§16f) nicht angepasst ist. Finanzielle Anreize (Weiterbildungsgeld, Bürgergeldbonus), die zudem eine fehlende Motivation der Leistungsberechtigten unterstellen (s. hier), bewirken selten nachhaltiges Lernen. Insofern wären Alternativen zu entwickeln und zu ermöglichen.

Als vermutlich neue Wortschöpfung kann das „Erreichbarkeitsrecht“ gelten, das die Ortsabwesenheit regelt.

Problematisch bleibt auch im Entwurf zum Bürgergeldgesetz die Tendenz zur double bind-Situation zwischen Leistungsberechtigten und Mitarbeitenden der Jobcenter. Dabei handelt es sich um ein dysfunktionales oder pathologisches paradoxes Kommunikationsmuster mit einer Doppelbotschaft. Doppelbotschaften enthalten zwei Botschaften gleichzeitig, die einander widersprechen und sich gegenseitig ausschließen. Im SGB II ist es Mitwirkungspflicht bei gleichzeitiger Umgang auf Augenhöhe, Androhung von Leistungsminderungen und Vertrauenszeit.

„Im Hinblick auf vereinbarte Mitwirkungspflichten … wird die Selbstverantwortung der Leistungsberechtigten und ihre Vertrauensbeziehung zur Integrationsfachkraft gestärkt.“

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz), Stand: 21.7.2022, S. 3

Doppelbotschaften erzeugen Irritationen bei EmpfängerInnen, aber auch Unwohlsein bei SenderInnen, die darauf gerne verzichten würden.

Eine detaillierte Stellungnahme zum Referenten- und später zum Gesetzesentwurf folgt.

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