Verschärft mangelnde staatliche Unterstützung die NEET-Situation in der Pandemie?

NEET meint „Not in Education, Employment or Training“, zu deutsch: nicht in Ausbildung, Arbeit oder Schulung. Der Begriff NEET erfasst also nicht nur nur Arbeitslosigkeit, sondern auch dass insbesondere junge Menschen nicht aktiv in einer Ausbildung oder Qualifizierung oder in einer staatlich organisierten Umschulungs- oder Aktivierungmaßnahme sind. Er beschreibt somit die soziale Situation von Menschen, die von sozialer Exklusion bedroht sind, breiter als Arbeitslosigkeit. Die EU hat sich die Reduzierung der Zahl der NEETs zum Ziel gesetzt. Wie ist die Entwicklung in Deutschland, insbesondere im ersten Sars-CoV-2-Pandemie-Jahr?

Die Entwicklung der NEET-Rate ist in Deutschland problematisch. Insbesondere, wenn man sich die Altersgruppe der 20 bis 24-Jährigen mit einem geringen Bildungsniveau anschaut. Diese Altersgruppe hat ihre Pflichtschulzeit absolviert und gilt als erwerbsfähig. In einer „normalen“ Bildungsbiographie wäre sie entweder in Arbeit, in Ausbildung, im Übergangssystem (Berufsvorbereitung u. ä.) oder im Fall der Arbeitslosigkeit in einer Fördermaßnahme der Arbeitsverwaltung. Nach dem SGB II sind NEET durch die Jobcenter unverzüglich in Arbeit oder Ausbildung zu vermitteln.

Die Entwicklung der NEET-Rate mit einem ISCED-Bildungsniveau von 0 bis 2 – also alle ohne Schulabschluss bis hin zu jenen, die einen Abschluss der Sekundarstufe I haben -, stagniert in der Altersgruppe der 20 bis 24-Jährigen. Und das seit rund 20 Jahren. Ihre NEET-Rate lag 2001 bei 23,4 % und 2019 bei 22,7 %. In 2020 erhöhte sich der Wert auf 24,2 %.

Hinzu kommt eine deutliche geschlechtsspezifische Ungleichheit. Die NEET-Rate der Frauen ist fast immer um ein Drittel höher als die der Männer. Für 20 bis 24-Jährige Frauen mit ISCED 0 bis 2 war die NEET-Rate in 2001 bei etwa 29,4 % und in 2019 bei 28,6 %. In 2020 erhöhte sich der Wert auf 24,2 %. Bei den Männer waren die Raten in 2001 mit 19,9% und 2019 mit 18,% um rund 10%-Punkte niedriger. In 2020 erhöhte sich der Männer-Wert auf 20,2 %. Der Geschlechterunterschied ist gleichbleibend stark.

Quelle: Eurostat; eigene Darstellung

Offensichtlich haben weder die vom sog. „PISA-Schock“ ausgelösten Maßnahmen noch die sog. „Hartz-Reformen“ mit der Änderung der Arbeitsverwaltung und die Einführung des SGB II (sog. „Hartz IV“) an dieser Entwicklung einen erkennbaren positiven Einfluss auf diese hohen NEET-Raten. Die Stagnation der NEET-Raten auf hohem Niveau ist zudem unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung. Selbst eine gute Konjunktur reduziert die NEET-Rate nicht.

Die Pandemie hat die Situation in 2020 gegenüber dem Vorjahr nochmals verschlechtert. Die umfangreichen staatlichen Hilfen für Unternehmen, Beschäftigte und Sozialsicherungssysteme waren für die jungen Menschen ohne Hochschulreife nicht ausreichend oder gingen an ihnen vorbei. Die Verschlechterung läßt sich nicht mit der Pandemie und den damit verbundenen Einschränknugen allein erklären oder rechtfertigen. Das zeigt beispielsweise die Situation in Dänemark. Im Pandemie-Jahr 2020 wurde hier die NEET-Rate für die 20- bis 24-Jährigen ohne Abschluss der Sekundarstufe II auf 19,1 % von 20,4 % in 2019 reduziert.

Eine Reduzierung der NEET-Rate ist bis zur Pandemie lediglich dann zu beobachten, wenn man Männer und Frauen der Altersgruppe für alle ISCED-Bildungsniveaus zusammenfasst. Die NEET-Rate insgesamt ist von 12,6 % in 2001 auf 8,3 % in 2019 gesunken. In 2020 stieg der Wert insgesamt auf 9,1 %.

Der relative Nachteil der frühen Schulabgänger (ISCED 0 bis 2) gegenüber denen mit einem Schulabschluss der Sekundarstufe II ist in den letzten zwei Jahrzehnten sogar gewachsen. Der Unterschied zwischen der NEET-Rate der ISCED 0-2 und denen der ISCED 3-8 betrug 2001 15,1% und 2019 18 %; ein Plus von fast 3 %-Punkten. In 2020 vergrößerte sich der Abstand weiter auf 4 %-Punkte. Von Investitionen in Beschäftigungschancen und entsprechenden Reformen sowie Pandemiehilfen haben demnach vermutlich vor allem jene profitiert, die mindestens einen Abschluss der Sekundarstufe II (Hochschulberechtigung) haben (ISCED 3 bis 8).

Das Corona-Jahr hat auch für die 15- bis 19-Jährigen ohne Abschluss der Sekundarstufe II die Situation verschärft: ihre NEET-Rate hat sich in 2020 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.

Quelle: Eurostat; eigene Darstellung

Fazit

Junge Menschen, die keinen Abschluss der Sekundarstufe II erworben haben, werden schnell mit Risiken gesellschaftlicher Ausgrenzung konfrontiert und befinden sich häufiger in geringwertigen oder ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen. Ihre langfristige Arbeitsmarktanbindung ist gefährdet. Für die nachhaltige gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen mit einem geringen Qualifikationsstand ist deshalb ein schneller und erfolgreicher Übergang in den Arbeitsmarkt wichtig. Dies gilt insbesondere für Frauen. Das bisher erfolglose Instrumentarium zur Reduzierung der NEET-Rate sollte auf den Prüfstand gestellt und durch besser geeignete Interventionen abgelöst werden. Die aktuellen Pandemiehilfen sind stärker auf die benachteiligten Gruppen auszurichten und kurzfristig die Entwicklung durch schnelle und gute nachholende Angebote umgedreht werden.

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