Referentenwurf zur Änderung des SGB II – Novelle oder Reform?

Bundesminister Heil hat einen Referentenentwurf zum 11. Gesetz zur Änderung des SGB II (sog. „Hartz IV“) vorgelegt. Medial wird der Entwurf als eine weitreichende Reform bewertet. Viele Verbände und Organisationen signalisieren große Zustimmung. Das Gesetz soll in Teilen bereits zum 1.4.2021 in Kraft treten, in anderen Teilen dagegen zum 1.7.2021.

Was bringt der Referentenentwurf Neues – einfache Änderungen oder eine Reform?

Zunächst beinhaltet der Entwurf die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im November 2019 geforderte Neuregelung der Leistungsminderungen im SGB II (Begrenzung der Sanktionen). Das BVerfG-Urteil wird seither über Weisungen umgesetzt. Die analoge Anwendung der Regeln für die Unter-25-Jährigen, über die das BVerfG nicht geurteilt hat, aber sehr sicher gültig sind, sind nun im Gesetz berücksichtigt.

Ein weiterer Punkt betrifft die Eingliederungsvereinbarungen, deren Nichteinhaltung sanktioniert wird. Sie werden nun durch einen „Kooperationsplan“ abgelöst. Dieser beinhaltet mehr oder weniger das gleiche wie die Eingliederungsvereinbarung. Die Nichteinhaltung des Kooperationsplan durch die Leistungsberechtigten wird drei Monate lang nicht sanktioniert. Nach diesem Zeitraum müssen die Jobcenter einseitig bestimmen, „welche Eigenbemühungen zur beruflichen Eingliederung in welcher Häufigkeit mindestens zu unternehmen und in welcher Form diese nachzuweisen sind“. Die damit verbundene Aufforderung erfolgt mit Rechtsfolgenbelehrung und wird bei Nichteinhalten sanktioniert.
Die genannte 3-Monate-Regel gilt allerdings nicht für die Teilnahme an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sowie an Integrationskursen und Maßnahmen der berufsbezogenen Deutschsprachförderung. Hier sollen die Jobcenter wie bisher von Anfang an die Mitwirkung verbindlich fordern und sanktionieren.

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Mitwirkungspflichten

(1) Unbeschadet des § 15 Absatz 3 ist spätestens nach Ablauf von jeweils drei Monaten zu überprüfen, ob die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die im Kooperationsplan festgehaltenen Eigenbemühungen nachgewiesen hat. Wird der Nachweis in dem genannten Zeitraum ohne wichtigen Grund nicht erbracht, soll die Agentur für Arbeit die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person schriftlich unter Belehrung über die Rechtsfolgen zur Vornahme von notwendigen Eigenbemühungen auffordern. Dabei hat [Hervorhebung: Andreas Hammer] sie zu bestimmen, welche Eigenbemühungen zur beruflichen Eingliederung in welcher Häufigkeit mindestens zu unternehmen und in welcher Form diese nachzuweisen sind.

(2) Eine Aufforderung entsprechend Absatz 1 soll insbesondere ergehen, wenn ein gemeinsam erarbeiteter Kooperationsplan nicht zustande kommt oder nicht gemeinsam fortgeschrieben werden kann.

(3) Gleichzeitig mit der Erstellung des Kooperationsplans nach § 15 oder in den Fällen des Absatzes 2 haben die Agenturen für Arbeit die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 3 Absatz 4 verpflichtend zur Teilnahme an einem Integrationskurs nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes oder an einer Maßnahme der berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a des Aufenthaltsgesetzes aufzufordern.“ (Referentenentwurf, Stand 7.1.2021)

Die bisherige Handhabung der Eingliederungsvereinbarung wurde vom Bundesrechnungshof in verschiedenen Prüfberichten beanstandet, so dass hier Regelungs- bzw. Handlungsbedarf besteht.

Einige Neuerungen betreffen die Gewährung der Geldleistungen (z. B. Erleichterungen bei der Einkommensberücksichtigung beim Mutterschaftsgeld und bei Einkommen aus Ferienjobs) oder stellen eine Verwaltungsvereinfachung vor (z. B. Rückforderungen unter 36 € pro Bedarfsgemeinschaft sollen künftig einer Bagatellgrenze unterfallen, was wegen des damit reduzierten Aufwandes sogar eine Einsparung bewirkt)

Die befristeten Regelungen aus dem Sozialschutz-Paket II (sog. „vereinfachter Zugang“ ins SGB II) wurden zum Teil in den Referentenentwurf aufgenommen. Dieser Gesetzesteil soll bereits zum 1.4.2021 in Kraft treten, da die entsprechenden Sozialschutz-Paket-Bestimmungen zum 31.3.2021 befristet sind und eine Lücke vermieden werden will.

Die Förderung der beruflichen Weiterbildung soll mit dem Entwurf erleichtert werden, da nun auch eine dreijährige Ausbildung gefördert werden kann, was bisher unverständlicherweise verboten war. Aber diese Erleichterung gilt nur in begründeten Einzelfällen. Der Bund plant mit 1.000 neue Förderfällen als Einzelfälle. Teilnehmende an einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung sollen finanziellen Anreiz in Form eines monatlichen Zuschusses von 75 € bekommen. Hier geht der Bund von lediglich 25.000 Förderfällen aus. Es wird klargestellt, dass die Kosten für ein Coaching während einer Weiterbildung als möglicher integrierter Bestandteil einer Maßnahme übernommen werden können.

Die Regelung in § 3 SGB II soll dahingehend geändert werden, dass Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung mit dem Ziel, einen Berufsabschluss zu erreichen, vorrangig eingesetzt werden sollen, sofern dies für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich ist. Andere Weiterbildungen sind weiterhin nachrangig.

Ein Teil der Änderungen könnte zu höheren Kosten bei den Kommunen führen (Unterkunftskosten). Der Bund nimmt rund 53 Mio. Euro für ein Jahr an Mehrausgaben an. Sollte der Bund die Kommunen nicht in gleichem Umfang entlasten, werden diese den Entwurf mit Ausnahme der durch das BVerfG erforderlichen Neuregelungen sicherlich ablehnen.

Vorläufiges Fazit

Wesentliche Teile des Referentenentwurfs ergeben sich nicht aus eigener Initiative und Gestaltungsabsicht, sondern aus Vorgaben des BVerfG oder Beanstandungen des Bundesrechnungshofs.

Der befristete vereinfachte Zugang mit dem Sozialschutz-Pakt II, der nun im SGB II unbefristet weitergeführt werden soll, war so „vereinfacht“ nicht wie es bei oberflächlicher Betrachtung aussieht. Der sehr niedrige Zugang der „Solo-Selbständigen“ zeigt, dass die Zugangsprobleme mit dem Referentenentwurf nicht wesentlich verändert werden.

Die Sanktionen bei Nichteinhalten des nun Kooperationsplans genannten Eingliederungsvereinbarung bestehen bei Teilnahme an Maßnahmen wie bisher unverändert vor – das Fordern hat sein Gewicht behalten.

Die Änderungen zur Förderungen der Weiterbildung sind positiv, aber nicht weitreichend genug. Das zeigen zum einen die geringen Fallzahlen, mit denen der Bund kalkuliert, wie auch dass eine Weiterbildung, die nicht zum Abschluss führt, weiterhin nachrangig ist. Doch auch solche Weiterbildungen sind nützlich, um die Potenziale von Leistungsberechtigten über einen längeren Zeitraum entwickeln zu können. Die Probleme der Förderung der Weiterbildung sind vermutlich noch nicht ausreichend analysiert.

Andere Änderungen bei der Eingliederung von Arbeit wurden nicht vorgenommen. Vorzuschlagen sind hier

  • Lockerungen der Voraussetzungen für Arbeitsgelegenheiten (s. hier),
  • die Entfristung und die Krisenfestigung des § 16 i SGB II (Teilhabe am Arbeitsmarkt),
  • Abkehr von hochschwelligen, sehr speziellen Instrumenten und Programmen mit kleiner Reichweite (z. B. ESF-LZA-Programm, Teilhabechancengesetz usw., siehe zusammenfassend hier)
  • bessere Inklusion sowie
  • erste Schritte zu einer Kindergrundsicherung.
  • Da sich die Maßnahmeförderung in der Corona-Pandemiezeit als unzureichend erwiesen hat (vor allem bei Vergabemaßnahmen), aber die Absicherung der Maßnahmeträger als kritische Infrastruktur (trotz gut gemeinter Förderung nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz – SodEG) unbefriedigend war, wären hier über institutionelle Förderungen und die Integration der Arbeitsförderung (SGB II und SGB III) in die Daseinsvorsorge nachzudenken und solche zu implementieren.

Bei dem Entwurf werden nötige Änderungen nachgeholt, von einer Reform sollte man noch nicht sprechen.

Anzunehmen ist, dass die Teile des Entwurfs, die nicht durch das BVerfG bestimmt sind, schon Wahlkampfwirkung (fünf Landtagswahlen und Bundestagswahl in 2021; zur Parteipräferenz von Arbeitslosen , zur Parteikompetenz der Sozialpolitik) entfalten sollen. Dafür spricht auch die bisher geringe Beteiligung der Länder und Verbände im Vorfeld.

Der Fortgang im Gesetzgebungsverfahren wird zeigen, ob eine weiterreichende Reform der Arbeitsförderung eine Chance bekommt. Die OECD geht in ihrem Employment Outlook vom Dezember 2020 bereits weiter.

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